Begleiterfahrung in der Sportallee

Ein paar Eindrücke aus Begleiterfahrungen in der Ausländerbehörde Sportallee

Lange, unbegründete Wartezeiten

Im überfüllten Warteraum, aber auch, wenn nicht viel Andrang ist, müssen Flüchtlinge und Migrant_innen (und ihre Begleiter_innen) meist stundenlang warten, ohne zu wissen, wann sie aufgerufen werden. Nach 3-4 Stunden bekommen sie evtl. gesagt, dass Unterlagen fehlen, dass sie heute nicht mehr drankommen, dass sie in eine andere Behörde müssen oder Ähnliches. Kaffee oder andere Getränke gibt es in der Sportallee nicht, ein Telefon auch nicht, und wer den Raum verlässt, z.B. um einen Stock tiefer zur Toilette zu gehen, hat evtl. das Pech, dass er seinen Aufruf verpasst und am nächsten Tag wiederkommen muss. Frauen mit kleinen Kindern, die unruhig waren, wurde verboten, mit dem Kind auf dem Arm im Flur zu stehen – sie müssten entweder im Warteraum sitzen oder unten vor der Tür warten (das war im Winter; außerdem hören sie dann nicht, wenn sie aufgerufen werden).

„Bearbeitung“ vieler Aufgaben durch den nicht dafür qualifizierten Wachdienst vor aller Augen

Alle, die in der Sportallee vorsprechen, müssen ihre Unterlagen zunächst bei einem Mitarbeiter des privaten Sicherheitsdiensts abgeben, der vor dem offenen Eingang zum Warteraum hinter einem Tresen die Papiere entgegen nimmt und Formulare zum Ausfüllen ausgibt. Dieser Mitarbeiter hat weder Sach- noch Fremdsprachenkenntnisse und auch keinerlei Kompetenzen, was die Anliegen der Flüchtlinge und Migrant_innen betrifft. Trotzdem hat er Einsicht in alle Dokumente, die er eigentlich nur weiterreichen soll, kann den Vorsprechenden Anweisungen geben und verweigert oft rechtswidrig
Begleitung oder behauptet, bestimmte Anträge (z.B. auf Duldung statt Asyl) seien nicht möglich.
Neuerdings werden oft nur noch stereotyp Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung verteilt, die eine Vielzahl an Daten abfragen, obwohl für die Mehrzahl der Personen wohl eher ein Antrag auf Duldung oder Asyl in Frage kommt. Die Leute müssen diese Anträge ausfüllen, um dranzukommen, auch wenn sie die nötigen Sprachkenntnisse nicht haben. Ob bzw. wann jemand zum Sachbearbeiter vorgelassen wird, kann der Sicherheitsdienstmitarbeiter angeblich nicht beeinflussen, und Nachfragen haben oft den gegenteiligen Effekt: man muss noch länger warten.
Fotos und Messung der Körpergröße werden auch vom Wachdienst gemacht, ohne dass erklärt wird, warum und wofür.

Verweigerung von Begleitung

Die Begleitung durch Ehrenamtliche des Café Exil, aber auch durch Verwandte oder Freunde von Flüchtlingen und Migrant_innen wird oft verweigert. „Argumente“ dafür sind vielfältig und haben mit der Rechtslage (§ 14,2 Verwaltungsverfahrensgesetz gibt jeder Person das Recht auf einen Beistand bei Behördenvorsprache) nichts zu tun: Der Raum sei zu klein bzw. es seien nicht genug Stühle vorhanden; es seien sensible Akten in dem Raum, die vor Begleitpersonen geschützt werden müssten (tatsächlich liegen oft personenbezogene Daten anderer Flüchtlinge auf den Schreibtischen herum, aber das stört sonst offensichtlich niemanden); Begleiter_innen dürften nichts sagen und
würden bei der ersten Bemerkung des Raumes verwiesen (was oft auch versucht wird).

Fingerabdrücke und Fotos ohne Erklärung und/oder Begleitung

Zur erkennungsdienstlichen Behandlung, d.h. zum Fotografieren und zur Fingerabdrucknahme (inzwischen elektronisch mit direkter Eingabe in Behördencomputer und damit ins EURODAC- System), wird oft Begleitung verweigert und den Betroffenen wird in der Sportallee nicht erklärt, warum die Fotos und Fingerabdrücke gemacht und an wen sie weitergegeben werden (beim Bundesamt erhalten Asylbeantragende immerhin eine schriftliche Erläuterung dazu in ihrer Sprache, die sie unterschreiben müssen).

Zwang zur Unterschrift ohne Übersetzung und/oder Erklärung

Ebenso werden Flüchtlinge und Migrant_innen oft zu Unterschriften unter irgendwelche Formulare oder Protokolle gezwungen, ohne dass ihnen diese übersetzt oder in ihrer Muttersprache erklärt werden. Bei Verweigerung der Unterschrift wird ihnen mit Rauswurf bzw. Papierlosigkeit gedroht.

Willkürliches „Ältermachen“

Eine lange Geschichte hat in der Ausländerbehörde das „Fiktivsetzen“, d.h. das willkürliche Hochsetzen des Alters von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, oft sogar ohne Inaugenscheinnahme, sondern nur aufgrund eines Fotos. Ziel ist, die Jugendlichen als erwachsen erklären und umverteilen zu können, statt sie in einer Hamburger Jugendhilfeeinrichtung
unterzubringen, was das SGB VIII vorschreibt (Inobhutnahme nach § 42). Das Verfahren der „Fiktivsetzung“ wurde mehrfach geändert. Früher wurde den für älter Erklärten der 1.1. des jeweiligen Jahres als Geburtstag in die Papiere geschrieben. Jetzt wird der Tag der ersten Vorsprache in der Ausländerbehörde zu ihrem 16. (ab 16 sind Jugendliche „asylmündig“, d.h. sie brauchen keinen Vormund zur Asylantragstellung) oder 18. Geburtstag erklärt.
Bis vor kurzem war es noch so, dass Betroffene innerhalb einer Woche gegen die Altersänderung mit einer „freiwilligen“ Untersuchung beim Institut für Rechtsmedizin im UKE angehen konnten. Röntgen war dabei nicht erlaubt. Inzwischen können solche Untersuchungen einschließlich Röntgen von der Ausländerbehörde angeordnet werden, und Mitarbeiter_innen der Sportallee begleiten die Jugendlichen zum UKE, meist gleich am folgenden Tag.
Bei Altersuntersuchungen im UKE wurde weiblichen Begleitpersonen der Zutritt zum Untersuchungsraum verweigert, da die zu untersuchende Person männlichen Geschlechts war und sich ausziehen müsse. Der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde blieb jedoch anschließend bei einer weiblichen Person, bei der die gleiche Untersuchung gemacht wurde, im Raum. Vor dem Start der Altersuntersuchung blieben Sachbearbeiter und Mediziner über 10 Minuten in einem Raum allein.
Der Sachbearbeiter verweigerte im Anschluss Begleitpersonen, die Untersuchungsergebnisse gemeinsam mit ihm beim Mediziner einzusehen. Stattdessen blieb er 30 Minuten weg und kam mit den Papieren mit dem angekreuzten, jetzt endgültig „festgestellten“ Alter zurück. Dieses Verfahren der „Altersfiktivsetzung“ wurde am 22.7.09 durch einen Beschluss des Hamburger Verwaltungsgerichts im Eilverfahren für rechtswidrig erklärt, aber da in der Hauptsache noch nicht
entschieden wurde, macht die Ausländerbehörde einfach weiter. Um weitere vermutlich erfolgreiche Widersprüche dagegen zu verhindern, wird in Verhören gleich nach Ankunft den Jugendlichen in den Mund gelegt, sie wollten keinen Asylantrag stellen (der Gerichtsbeschluss bezieht sich nur auf Asyl Beantragende). Noch am selben Tag wie die Altersuntersuchung werden die zu Erwachsenen erklärten Jugendlichen meist in ein anderes Bundesland umverteilt, so dass es kaum möglich ist, in Hamburg einen Rechtsanwalt zu beauftragen.

Unterstellung, dass vorgelegte Papiere gefälscht seien

Während bei Papieren, die zur Abschiebung dienen, die Echtheit von der Behörde nie in Frage gestellt wird, wird bei so gut wie allen Dokumenten, die Flüchtlinge vorlegen, um ihr Alter, ihre Asylgründe oder ein Abschiebehindernis zu belegen, erst einmal unterstellt, diese Papiere seien gefälscht. Das treibt so kuriose Blüten, dass z.B. Geburtsurkunden ohne Foto nicht anerkannt werden (in welchem Staat gibt es solche Urkunden mit Babyfotos?). Oder die „Prüfung“ von Papieren dauert so lange, dass ihre Gültigkeit abläuft. Ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts haben die meisten Flüchtlinge und Migrant_innen keine Chance, dass wichtige Dokumente anerkannt werden.
Einbehalten von Papieren ohne Bescheinigung
Es kommt in der Sportallee öfter vor, dass eingereichte Papiere, z.B. Pässe oder Geburtsurkunden, einbehalten werden, ohne dass den Flüchtlingen und Migrant_innen dafür eine ihnen zustehende Bescheinigung ausgestellt wird. Später heißt es dann oft, die Dokumente seien nicht mehr auffindbar.

Rassistische Bemerkungen / Behandlung

Rassistische Sprüche und Umgangsweisen sind Alltag in der Ausländerbehörde, insbesondere in der Sportallee. Menschen anderer Herkunft und/oder Hautfarbe werden oft geduzt, gedemütigt, beleidigt, beschimpft, manchmal auch körperlich misshandelt, ohne dass auch nur das geringste Unrechtsbewusstsein bei den Mitarbeiter_innen der Behörde erkennbar wäre – im Gegenteil: Es wird deutlich, dass Flüchtlinge und Migrant_innen für sie Menschen zweiter oder dritter Klasse sind, die
kein Recht haben, hier her zu kommen.

Bedrohungen, Beschimpfungen, Anbrüllen und mangelndes Demokratieverständnis

Flüchtlinge und Migrant_innen werden von Mitarbeiter_innen der Sportallee mit Festnahme, Ablehnung des Asylantrags (wofür die Ausländerbehörde gar nicht zuständig ist, sondern das Bundesamt), Strafanzeige (z.B. wegen „Falschaussage“) bis hin zu körperlicher Misshandlung und Tod bedroht (einem arabischen Jugendlichen wurde z.B. ohne genauere Erklärung gesagt, wenn er 60 Jahre früher nach Deutschland gekommen wäre, wäre er „geschlachtet“ worden). Sie werden als
„Lügner“, „Asylbetrüger“ oder „Wirtschaftsflüchtling“ beschimpft. Nur einige Beispiele von in der Sportallee mitgehörten Äußerungen: „Mit dem Rücken an die Wand stellen!“ dröhnte es aus einem Raum, in dem die Größe eines Jugendlichen gemessen werden sollte. „Was ist das für ein Scheiß?“ wurde ein Flüchtling bei angeblich unglaubwürdigen Aussagen angebrüllt. „Wenn er frech wird, hau ihm eine rein. Dann kriegt er von der Behörde nicht nur Geld, sondern auch Schläge. Dann hat er alles, was er braucht“, äußerte ein Mitarbeiter zu einem Kollegen. Über das demokratische Bewusstsein von Mitarbeiter_innen gibt folgende Äußerung zu denken: „Ich finde das bürokratische System in Deutschland auch nicht optimal, eine gemäßigte Diktatur finde ich besser.“

Keine Auskunft über Rechtsgrundlagen von Verhören und Durchsuchungen

In der Sportallee finden immer häufiger und immer früher (inzwischen oft direkt bei der ersten Vorsprache) Befragungen, eher: Verhöre der Flüchtlinge und Migrant_innen statt, deren Rechtsgrundlage auch auf Nachfrage nicht erläutert wird und die es auch nicht gibt. Die Antwort eines leitenden Mitarbeiters war z.B., man wolle die Person, die sich hier melde, nur mal kennen lernen.
Tatsächlich werden die Flüchtlinge mit Fragen aller Art gelöchert, die auch in der Asylanhörung beim Bundesamt vorkommen, und die Antworten werden später abgeglichen. So werden Widersprüche konstruiert, wenn die Aussagen (und sei es aufgrund von Übersetzungsproblemen) nicht völlig identisch sind. Andererseits wird, wenn die Aussagen sich decken, oft behauptet, die vorgebrachten Asylgründe seien von „Schleppern“ vorgegeben, auswendig gelernt oder erfunden. Es werden Fangfragen gestellt, oft auch solche, die den Flüchtlingen in den Mund legen, dass sie gar keinen Asylantrag stellen wollen, sondern z.B. zum Arbeiten hergekommen seien. In den Verhören wird zunächst nach dem Reiseweg gefragt, vor allem, um herauszufinden, ob der/die Betreffende über ein anderes EU-Land eingereist ist und deshalb nach der Dublin II-Verordnung dorthin zurück geschickt werden kann. Um dafür Belege zu finden, werden die Flüchtlinge meist auch körperlich durchsucht sowie ihre Handys, Adressbücher, Tickets, Notizzettel u.ä. weggenommen, um daraus Transitorte und
Kontaktpersonen zu entnehmen. Geld wird den Flüchtlingen ebenfalls abgenommen und beschlagnahmt mit der Begründung, dass sie ja sonst keinen Bedarf an Sozialleistungen hätten.

Dolmetscherprobleme

Bei den meisten Vorsprachen in der Sportallee wird den Flüchtlingen und Migrant_innen gar kein Dolmetscher zur Verfügung gestellt. Wenn Verhöre stattfinden, wird meist ein Behördendolmetscher hinzugezogen, der von den Sachbearbeiter_innen geduzt wird, also auf der Seite der Behörde und damit nicht neutral ist. Das ist rechtswidrig. Hinzu kommt, dass nicht nur dieser, sondern auch andere Dolmetscher_innen oft die Muttersprache des Flüchtlings nicht (gut) können und/oder dass sie nicht gut Deutsch sprechen. Dadurch kommt es sehr häufig zu Verständigungsproblemen und Missverständnissen, die für das weitere Verfahren fatale Folgen haben können. Die Flüchtlinge werden nicht darüber belehrt, dass sie bei Verständigungsproblemen die Anhörung abbrechen können. Manche Dolmetscher_innen verhalten sich auch in anderer Weise nicht neutral und professionell, sondern machen sich z.B. über Flüchtlinge lustig, bewerten Aussagen von ihnen,
erklären sie für unglaubwürdig etc., das heißt, sie erfüllen für die Behörde eine Art Spitzelfunktion, ohne dass dies den meisten Flüchtlingen klar ist.

Keine Rückübersetzung von Verhören und Verweigerung der Herausgabe von Protokollen

Manchmal wird, ohne dass dem Flüchtling die Konsequenzen erklärt werden, auf die Rückübersetzung von Anhörungsprotokollen verzichtet. Protokolle solcher Verhöre werden nicht automatisch an den Flüchtling oder Begleitpersonen bzw. seinen Rechtsanwalt oder Vormund gegeben, und auf Nachfrage wurde die Herausgabe sehr oft verweigert oder erst nach Beschwerde beim Vorgesetzten zugestanden.

Diese Begleiterfahrungen geben nur einen Bruchteil des Alltags in der Ausländerbehörde wieder und es ist zu befürchten, dass Flüchtlinge und Migrant_innen, die ohne Begleitung dort vorsprechen, noch viel schlimmere Erfahrungen machen. Nicht zuletzt deshalb wollen wir mit dem Infomobil auch Begleitung anbieten und den Behördenmitarbeiter_innen in der Sportallee
auf die Finger schauen.

Café Exil

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